LYRIK
über
LYRIK
SIE UNTER SICH
Las er als Dichter
mancher Dichter Gedichte,
legte er geknickt
seinen Bleistift nieder -
Doch kamen ihm dann
manch andre zu Gesichte,
holte er prompt
seinen Bleistift wieder ...
NUR EINE HANDVOLL VERSE
das abgebrochene patience-kartenspiel
lippenstiftrouge am tequila-sunrise
die zerkratzte freddy-mercury-platte
ein eselsohr im dreigroschen-roman
lass es zu worte kommen,
das übersehene, überhörte, übergangene -
eine zweite chance
für das nur-so-nebenbei
… UND WIRD GEDICHT
(nach „Gefunden“: „Ich ging im Walde so vor mich hin ...“
Johann Wolfgang von Goethe - 1813)
Ging auch im Walde
So vor mich hin,
Heut’ nichts zu dichten,
Das war mein Sinn.
In Stille ist mir
Ein Wort erwacht,
So farbig klingend,
So rund gedacht.
Ich wollt es greifen,
Da sagt’ es fein:
Soll ich zum Reden
Entzaubert sein?
Mit Klang und Farbe
Hab ich es zart
In mir verstohlen
Dann aufbewahrt.
Ich schrieb es nieder
An hellem Licht –
Nun zweigt und sprießt es
Und wird Gedicht.
Gefunden
(Johann Wolfang von Goethe)
Ich ging im Walde
So vor mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümlein stehn,
Wie Sterne blinkend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Mit allen Wurzeln
Hob ich es aus,
Und trugs zum Garten
Am hübschen Haus.
Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort;
Nun zweigt und blüht es
Mir immer fort.
POESIE-METAMORPHOSE
(Senryu)
Was einst nur verspürt
Verwächst sich als verwortet
Zu Zeilen und Sinn
*
Aus Zeilen und Sinn
Entwächst sich als entwortet
Was einstens verspürt
TRILOGIE DES DICHTERS
1.
Non-Event
Erdichtetes hab ich
gesichtet
gewichtet
gerichtet
verdichtet
gelichtet
Und saß am Ende
Wieder vor dem weißen Blatt
2.
Poet erster Klasse
Hat er einen Sinn – fehlt ihm der Vers
Hat er einen Vers – fehlt ihm die Form
Hat er eine Form – fehlt ihm das Metrum
Hat er ein Metrum – fehlt ihm der Reim
Hat er einen Reim – fehlt ihm der Sinn
So probiert er immer wieder
Und legt dann den Bleistift nieder
3.
(.....)
AUF LYRISCH
(Senryu)
Vom innersten Ich
Als polychrome Symphonie
In Worte skulptiert
VERDICHTETE LEERRÄUME
...............
...
verse
entwortet
......
......
nur-angedachtes
verwortet
......
......
schnörkellos
schattierte schemen
schwappen über
voll der magie
......
des
nicht-gesagten
...
...............
ARS POETICA
Und der Schatten entschlurfte seiner Eiche:
Nimm mich mit
In mir klingt Poesie
Und ein rostiges Gartentor schepperte irgendwo:
Nimm mich mit
In mir klingt Poesie
Und die Sonnenuhr,
Die sonst unter Wolken verstummt ...
Und das Buntglasfenster der Kirche,
So auf Distanz zu allem Irdischen ...
Und das nie gelesene Buch ...
Und der Letzte auf dem Bahnsteig ...
Und das Schachbrett ...
Und die Marktfrau ...
Und er nahm sie alle mit
Setzte sich nieder
Bei Blatt Feder Tintenfass
Und aus Reichtum AN Alltäglichem
Wurde Reichtum DES Alltäglichen
OZEANE, WÜSTEN UND GEDICHTE
Hier
Ein Regentropfen mehr
Dort
Ein Sandkorn weniger ---
So leicht gerät die Welt
Nicht außer Balance
(Aber trotzdem ...)
WEITEN UND UNENDLICHKEITEN
Gebirge und Schluchten
Meere und Buchten
Weiten und Unendlichkeiten -
So endlos weit der Blick zu blicken vermag
Der Dichter aber, er weilt an anderem Ort
Eher dort
Wo das kärglichste Wort
Sich Schale um Schale
Als doch tiefschürfend entpellt,
Wo Doppelbödiges und BonMot
Durch Gedanken pulsieren,
Salopp und Gehoben
Auf gemeinsamer Bühne choreographieren,
Ja, eben dort
Wo kärglichstes Wort und kärglichstes Wort
Zu ungeahnten Sinnen kopulieren ---
In diesem Kleingeschnitzten
Hallen für ihn
Gebirge und Schluchten
Meere und Buchten
Weiten und Unendlichkeiten -
So endlos weit das Denken zu denken vermag ...
KLARTEXT-LYRIK
Schreiber, sprichst du etwa von
ARSCHKARTE ZIEHEN UND ÜBER DEN TISCH GEZOGEN
Dann sage auch
ARSCHKARTE ZIEHEN UND ÜBER DEN TISCH GEZOGEN
Aber zerrede dich nicht zu tief
Nicht zu umwoben umrankt
In ...
Schrei es / oh Mensch /
Der Schöpfung von der Seele !
Diese-steigbügel-haltende-Hypocrisie
Des-Du&Dir
Zum-Bestäuben
Eines-mephistophelischen-Paktes
Mit-dem-Ich&Mir ...
Nein!
Rede Klartext!
ARSCHKARTE ZIEHEN UND ÜBER DEN TISCH GEZOGEN
Poesie ist zwar dichtes Brombeergestrüpp
Aber Apollo auch nur Gott der Lyrik
Und keine Decodierungssoftware
UND GOTT SCHRIEB VON JEDEM VERS
Immer
Nur
Das
Erste
Wort
-
Ließ
Uns
In
Eigenregie
Weiter
Werkeln
Und
Genoss
Dann
Verstohlen
Dass
Wir
Uns
Am
Ende
Keinen
Reim
Drauf
Machen
Konnten
DICHTER-PSYCHOSE
Wettermeldungen
Lautsprecherdurchsagen
Anmache auf dem Strich
Höre ich in Reimen
Endreim Eingangsreim Binnenreim
Alles andere wäre nur fades Geplapper
Im Metrum meines Denkens
Betrete ich augenmerksam
Unbetonte oder betonte Silben
Jambus Trochäus Daktylus
Dazwischen liegen Tellerminen
Im Spiegel sehe ich mich
Als Metapher
Meiner selbst
OHNE TITEL
Nicht überall
Wo Titel draufsteht
Ist auch Titel drin
Und trotzdem gibt er
Leerem Inhalt
Üppigkeit und Sinn.
So suche du dir
Den pointiersten
Und schreib’s oben hin
Dann sagt man: Doch!
Wo Titel draufsteht
Ist auch Titel drin!